Status der Digitalisierung im stationären Einzelhandel am Beispiel von Ku’damm & Tauentzienstraße
Shopping rund um Berlins Tauentzienstraße und Kurfürstendamm
Die Tauentzienstraße und der Kurfürstendamm gehören zu den meist-frequentierten Einkaufsstraßen in Deutschland, deren Anziehungskraft auch im Zeitalter von Online-Handel nicht abnimmt. Trotzdem müssen sich die versammelten Geschäfte den sich wandelnden Kundenerwartungen und den Herausforderungen der Digitalisierung stellen. In einer aktuellen Studie von eStrategy Consulting wurden 165 Geschäfte entlang dieser beiden Straßen untersucht. Dabei stand die Verknüpfung des lokalen Geschäfts mit den digitalen Marketing- und Verkaufskanälen ebenso im Fokus wie digital unterstützte Prozesse im lokalen Geschäft selbst. In der Studie werden drei Phasen entlang einer typischen Customer Journey definiert: 1. Digitale Sichtbarkeit von Geschäften und Sortimenten, 2. Digitale Kundenerfahrung im lokalen Geschäft, 3. Digitale Kundenbindung und After Sales Services. Insgesamt werden etwa 45 Faktoren für digital getriebene Services sowie den digitalen Point of Sales (POS) erfasst und den drei Phasen zugeordnet und hinsichtlich ihrer Bedeutung gewichtet. Daraus wird letztlich ein Index für die Digital Reife in jeder Phase berechnet, dessen Ausprägungen von 0 (nicht reif) bis 10 (sehr reif) reichen. Das Ergebnis zeigt einen großen Handlungsbedarf, was auch der Vergleich mit empirischen Studien zur Kundenerwartung bestätigt.
Fokusbereiche der Studie entlang der Customer Journey
Digitale Sichtbarkeit von Geschäften und Sortimenten
Fast alle Geschäfte entlang des Kudamms und Tauentziens sind auf Google Maps registriert und erzielen dort Sichtbarkeit für ihre physische Präsenz inkl. Öffnungszeiten und Kontaktdaten. Nur knapp die Hälfte der Geschäfte (53%) bietet hingegen eine eigene Website für das lokale Geschäft an. Deutlich weniger Geschäfte bieten den Kunden eine Sichtbarkeit auf das lokale Sortiment (39%) an. Dazu gehören die allgemeine Anzeige der lokalen Verfügbarkeiten (39%), Click&Collect (33%), Ship-to-Store (32%) oder Instore-Return (30%). Weniger verbreitetet sind Kurier-Pickup (15%) sowie Click&Reserve (13%). Alle diese Funktionalitäten haben zum Ziel, in Zeiten des Online-Handels Sichtbarkeit für das lokale Sortiment zu schaffen sowie dem lokalen Geschäft Kundenfrequenz bzw. Umsatz zu ermöglichen. Insgesamt wurden hier 10 Faktoren analysiert und gewichtet, welche in dieser Phase der Customer Journey für den Kunden besonders relevant sind.
Durchschnittliche Digital-Reife
Der durchschnittliche Digitale-Reife-Index liegt bei 5,5 von 10 Punkten. Bei Betrachtung der digitalen Reife je Warengruppe variiert der Index von 4,0 bis 6,7. Diese breite Spanne verdeutlicht beträchtliche Unterschiede zwischen den Sortimenten an. Handelsketten wie Rossmann und dm (FMCG) sowie Conrad und Saturn (CE) erreichen eine hohe Sichtbarkeit und eine umfassende Omnichannel-Präsenz. Die größte Gruppe bilden Modegeschäfte (68% der Läden), welche eine hohe Varianz und insgesamt nur eine durchschnittliche digitale Reife aufwiest. Im Bereich Sonstiges finden sich u.a. Apotheken, Optiker, und Sanitätshäuser, welche in diesem Index mit deutlichem Abstand zurückliegen.
Digitale Kundenerfahrung im lokalen Geschäft
Im zweiten Schritt befasst sich die Studie mit der digital geprägten Kundenerfahrung im lokalen Geschäft. Dafür wurden alle 165 Läden untersucht und die digitale Reife des POS anhand von 50 Kriterien bewertet, welche in sechs Dimensionen zusammengefasst werden können: 1. Inspiration (bspw. digitale Displays mit Image- oder Videowerbung), 2. Entertainment (bspw. interaktive Displays mit Gaming-Elementen), 3. Information (bspw. interaktive Displays oder Tablets für Produkt – oder Ladeninformationen), 4. Beratung (bspw. Produkterfahrung via AR/VR oder Produktkonfiguratoren), 5. Bezahlung (bspw. kontaktlose Zahlung via Google Pay, Apple Pay oder Alipay), 6. Services (bspw. Home Delivery oder Free WiFi). Die Möglichkeiten der Anreicherung der Kundenerfahrung durch digitale Technologien ist im Grunde endlos und die hier eingeführte Struktur nur eine unter vielen Alternativen.
Digital-Reife des POS
Die Geschäfte weisen übergreifend nur eine geringe Reife hinsichtlich des digitalen POS auf. Durchschnittlich liegt der Digital-Reife-Index bei knapp 2,5 (von 10). Die Elektronik-Händler liegen jedoch mit 5,7 Punkten deutlich über dem Schnitt. So kann der Kunde bei Saturn und Conrad nicht nur eine große Bandbreite an Informationen und Services über digitale Displays erhalten, sondern sind diese auch omnipräsent in den Geschäften verfügbar. Mit großem Abstand folgen Einrichtungs- und Modegeschäfte, welche vor allem auf Inspiration über großflächige Displays setzen. Selbst große Häuser wie das KaDeWe bieten dem Kunden keine digitale Unterstützung hinsichtlich Sortimentsinformationen oder Navigation.
Digitale Kundenbindung und After Sales Services
Die letzte Phase der Customer Journey ist gekennzeichnet durch After-Sales-Services und Treueprogramme. After-Sales enthält u.a. kostenlose Lieferung nach Hause oder ins Hotel bzw. die Möglichkeit, online gekaufte Artikel im Geschäft zurückzugeben. Zur Kundenbindung zählen unter anderem der aktive Hinweis auf Kundenkarten und -clubs, der Absprung auf Apps via QR-Codes bzw. die aktive Registrierung der Kunden für Newsletter. Grundsätzlich geht es dem Händler in dieser Phase darum, einen möglichst hohen Customer Life Value zu erzielen.
Digital-Reife im After Sales
Der durchschnittliche Digitale-Reife-Index über alle Geschäfte liegt bei 3,1 (von 10). In dieser Phase der Customer Journey liegen die Geschäfte für Einrichtung (4,3) sowie Kosmetik und Drogerie (4,2) vorne. Die große Gruppe der Modegeschäfte erzielt beim Thema Kundenbindung und After Sales Service einen Wert unter dem Durchschnitt.
Highlights der Analyse
Im Folgenden werden einige besondere Lösungen vorgestellt werden, welche im Rahmen der Analyse gesichtet wurden, jedoch im gegebenen Bewertungsschema nicht ausreichend hervorgehoben werden konnten. Conrad Electronic betreibt beispielsweise einen 24h-Kiosk, welcher mit der EC-Karte geöffnet werden kann und in dem der Kunde von einem Roboter aus einem kleinen, vordefinierten Sortiment bedient wird. Saturn stellt einen Handy-Automaten bereit, welcher die gebrauchten Smartphones der Kunden entgegennimmt und im Gegenzug Gutscheine ausgibt.
O2 betreibt einen Concept Store, welcher u.a. für Kundenservice, Schulung oder Events genutzt werden kann. Lego bietet eine Reihe von interaktiven technologischen Entertainment-Anwendungen für Kinder. Adidas und Nike fokussieren sich in eher minimalistisch ausgestatteten Verkaufsräumen auf die Performance der Kunden inkl. Funktionskleidung und Apps zu Selbstoptimierung. Passend dazu werden auch die Verkäufer technologisch unterstützt, u.a. mit Funkgeräten und Tablets. Bei Nike kann der Kunde beispielsweise bei jedem Verkäufer im Laden bezahlen und spart sich das Anstellen an der Kasse. Ähnlich ausgestattet sind auch die Verkäufer von Marc O’Polo, welche im Fashion-Segment hervorstechen und Kunden via Tablet bspw. zu Newsletter-Empfängern konvertieren oder zu verfügbaren Sortimenten informieren.
Vergleich mit Kundenerwartungen
Diese Studie hat keine Befragung der Kunden zu allgemeinen Erwartungen bzw. ihrem Feedback auf die vorhandenen Angebote der Händler vorgenommen. Passende Drittstudien, welche die Erwartungen von Kunden in einem kompatiblen methodischen Setup erfasst haben, sind kaum zu finden. Eine AYDEN-Studie von 2018 fragt beispielsweise Kunden danach, was Ihnen beim stationären Einkaufen wichtig ist. Viele Ergebnisse beziehen sich auf nicht digital-getriebene Faktoren, bspw. Parkplätze. Sämtliche digital getriebene Faktoren wurden in der folgenden Grafik den Ausprägungen der Händler am Ku’damm bzw. Tauentzien gegenübergestellt.
Es ist zu erkennen, dass Kunden mehr digital getriebene Services und Erlebnisse im Laden erwarten. Aktuell gar nicht bedient wird der Kundenwunsch nach digitalem Kassenzettel, Smart Mirrors sowie einer AR/VR-Experience für virtuelle Produkterfahrung bzw. zusätzliche Informationen.
Hinsichtlich von Omnichannel-Services wünschen sich fast 80% der Kunden eine Information zur Verfügbarkeit des lokalen Sortiments, was aktuell bereits von 40% der Läden am Ku’damm und Tauentzien ermöglicht wird. Andere von den Kunden gewünschte Omnichannel-Services wie Click&Collect bzw. Instore-Return werden bereits von vielen Geschäften angeboten. Das Thema Mobile-Payment wurde nur von wenigen Kunden genannt, wird aber aktuell flächendeckend im lokalen Einzelhandel implementiert.
Kurzportrait & Kontakt – eStrategy Consulting
eStrategy Consulting hilft Klienten dabei, digitale Innovationen zur Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle und für den Aufbau neuer Geschäftschancen zu nutzen. Die Handelsbranche unterstützen wir dabei in der Weiterentwicklung zum Omnichannel und Connected Commerce und zählen Hersteller, klassische Big Box Retailer, die Handelsimmobilienwirtschaft oder digitale Marktplätze und Plattformen zu unseren Kunden.
eStrategy Consulting deckt den gesamten Lebenszyklus digitaler Innovation ab, von der Analyse über die Ideation, die Lösungsentwicklung und die Markteinführung. Wir arbeiten als Strategie- und Konzeptentwickler sowie als nahtlos integrierter und pragmatischer Umsetzungsmanager. Wir setzen dafür auf einen Methoden-Mix aus der Welt des Digital Business und der klassischen Unternehmensberatung. Im Mittelpunkt stehen dabei sowohl die anwendenden Kunden unserer Klienten als auch seine Organisation und Fähigkeiten, die zum Betreiben notwendig sind.